VeratrumViride-Pg
Grüne Nieswurz
Spinale Meningitis. Starkes Pulsieren und Klopfen.
Ein schmaler, scharf abgegrenzter roter Streifen genau die Mitte der Zunge entlang.
Hohes Fieber, mit Zuckungen und Neigung zu Krämpfen.
Veratrum viride ist ein weiteres Mittel, das einst einen großen Ruf für das erste oder kongestive Stadium von entzündlichen Krankheiten hatte, besonders bei Entzündungen von Organen, die unter Kontrolle des Nervus vagus stehen, namentlich Pharynx, Ösophagus, Magen und Herz. Eine Zeitlang quollen die Fachzeitschriften geradezu über von Berichten über Pneumonieheilungen mit Veratrum viride, wobei dessen Heilkraft dem regulierenden Einfluss auf Herztätigkeit und Puls zugeschrieben wurde. Es wurde behauptet, dass, wenn die beschleunigte Blutzirkulation eingedämmt werden könnte, um so die in die kongestionierte Lunge gepresste Blutmenge zu reduzieren, dadurch der Lunge die Möglichkeit eröffnet würde, sich selbst von der bestehenden Blutfülle zu befreien.
Dies schien ganz plausibel zu sein, und sicher wurden auch in vielen Fällen bemerkenswerte Heilungen erreicht, und das in vergleichsweise kurzer Zeit. Ich war damals noch ein junger Arzt und glaubte, mit diesem Mittel das große Los gezogen zu haben. Doch eines Tages ließ ich einen Kranken, dem ich mit Veratrum viride Erleichterung bei einer akuten und heftigen Lungenentzündung verschafft hatte, allein, um in eine fünf Meilen entfernte Stadt zu fahren, und als ich zurückkam, war mein Patient tot. Nach diesem Vorfall achtete ich verstärkt auf andere Patienten, die mit Veratrum viride behandelt wurden, und immer mal wieder war ein Pneumoniepatient darunter, der – nach anfänglicher Besserung – plötzlich verstarb.
Heute ist der Ruhm von Veratrum viride als wichtigstes Heilmittel für das erste Stadium dieser Erkrankung deutlich verblasst. Was sind die Gründe? 1. Die Arznei wurde (wie andere Modemittel) zu wahllos angewandt. 2. Es ist nicht wünschenswert, ja es ist falsch, ohne Berücksichtigung der sonstigen Gegebenheiten den Puls zügeln oder gar senken zu wollen. 3. Diejenigen Patienten, die ein schwaches Herz hatten, sind von diesem die Herztätigkeit massiv herabsetzenden Mittel getötet worden. Eine beschleunigte Blutzirkulation ist aber bei allen entzündlichen Erkrankungen heilsam; sie zeigt an, dass die natürlichen Abwehrkräfte vorhanden und bereits am Werk sind. Der Puls wird sich normalisieren, wenn die Ursache für seine Störung beseitigt ist; solange dies nicht der Fall ist, sollte er niemals dazu gezwungen werden. Dies ist ein häufig begangener Fehler der alten Schule, ungeachtet ihrer Parole von „kausaler Therapie“. Ebenso habe ich etwas auszusetzen an Guernseys Keynote „Große Aktivität des arteriellen Systems; sehr rascher Puls“. Nächst Digitalis nämlich verlangsamt Veratrum viride den Puls, wie die Prüfungen zur Genüge zeigen. Wann immer ein rascher Puls Wirkung dieser Arznei ist, handelt es sich um eine sekundäre oder reaktive Wirkung, wie Schlaflosigkeit bei Opium oder Verstopfung bei Abführmitteln. So scheint es mir, dass Veratrum viride als „Antiphlogistikum“, zusammen mit dem als solches einst gepriesenen Digitalis, in Vergessenheit geraten sollte.
In welchen Fällen ist Veratrum viride dann aber von Nutzen? Meines Erachtens ist der Wirkungskreis des Mittels noch keineswegs vollständig erschlossen – und kann es ohne weitere Prüfungen und klinische Bestätigungen auch kaum sein. Immerhin sind die Prüfungen weit genug getrieben worden, um sagen zu können, dass es sich um ein sehr mächtiges und nützliches Arzneimittel handeln muss. Dass es die Speiseröhre und den Magen entzündet, ist wohlbekannt, ebenso die Tatsache, dass es Hirn und Lunge kongestioniert; doch was die charakteristischen Symptome sind, die uns in die Lage versetzen, eher dieses Mittel zu verschreiben als andere, die das Gleiche vermögen, das ist weniger gut bekannt. Ein eigentümliches Symptom, das ich für charakteristisch halte und das ich in einem schweren Fall von Erysipel, begleitet von heftigem Delirium, bestätigt gefunden habe, ist „ein schmaler, scharf abgegrenzter roter Streifen genau die Mitte der Zunge entlang“. Auch glaube ich, dass Veratrum viride eines unserer wichtigsten Mittel bei Krämpfen, Zuckungen und Konvulsionen ist, kenne aber keine wirklich verlässlichen Symptome, die uns im konkreten Fall zu seiner Wahl veranlassen könnten. Ich befreite einmal mit dieser Arznei einen Mann von einem äußerst heftigen und hartnäckigen Erbrechen, das sich beim Aufstehen verschlimmerte. Er hatte schon früher des Öfteren ähnliche Anfälle gehabt, nach dem letzen Anfall aber, der jetzt bereits Jahre zurückliegt, nie wieder.
Nash